Zaiendo Wir sind die Community


Neueste Ankündigungen:
Zaiendo.de ist auf FaceBook und Youtube.

Witz des Tages:
"Schluß jetzt", schimpft der Kneipenwirt, "ich schreibe nichts mehr an!" Der Stammgast: "Und wie willst du dir das alles merken?"

Teilen auf:
Twitter Facebook Stumble Upon Delicious Google

Warum Rosetta und Philae ein voller Erfolg sind
#1
Es dürfte so ziemlich jeder mitbekommen haben, dass Philae erfolgreich auf dem Kometen 67P gelandet ist. Allerdings steht er nur auf zwei von drei Beinen, wohl an einem Hang mit wenig Licht, die Harpunen funktionierten nicht, ebenso Landetriebwerk, das Philae auf den Boden drücken sollte. Ein Reinfall? Versagen der ESA? Verschwendetes Geld? Solche Stimmen werden im Netz nun laut. Vollkommen zu unrecht meiner Meinung nach. Die Devise lautet auch hier wieder erst denken und informieren, dann reden. Und wenn man keine Ahnung hat... Wink
Ok, warum hat die ESA nicht versagt? Dazu muss man anschauen was genau passiert ist: Vor 10 Jahren hat man eine Sonde ins All geschossen, die sich durch mehrere vorausberechnete Swing-By Manöver an Erde und Mars auf die Umlaufbahn vom Kometen befördert. Was ist ein Swing-By? Man kreuzt die Umlaufbahn der Sonde mit der eines Planeten, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem Planet und Sonde sich sehr nahe kommen. Aufgrund der Gravitation zieht der Planet die Sonde an und wenn man geschickt war, schleudert der Planet die Sonde weiter. Sozusagen Beschleunigung und Umlenken 4free. Wann welcher Planet wo ist und wo wann die Sonde ist muss man natürlich ausrechnen. Wie die Swing-Bys genau aussahen sieht man hier:


Zwischendurch ist man noch nahe bei zwei Asteroiden, Šteins und Lutetia vorbeigeflogen und hat Fotos von diesen gemacht. Zudem hat man die Deep Impact Mission (Kurzfassung: Impaktor auf einen Kometen schießen und gucken was passiert/rauskommt) der NASA beobachtet, wobei Rosetta zwar weit entfernt war, aber das UV-Spektrometer war, dass es in der "Nähe" gab. Noch hat Rosetta also "gar nichts gemacht", aber trotzdem drei Sachen nebenher erledigt.

Dann ging es ab in den Tiefschlaf, ein viertel der Reisezeit war die Kommunikation abgeschnitten, die wenige kostbare Sonnenenergie die noch ankam konnte nicht für Sendeleistung verschwendet werden. Also war 2,5 Jahre Funkstille. Richtig, komplett aus die Maus, man wusste von da an nicht ob Rosetta noch auf Kurs war, ob der Bordcomputer in Ordnung war usw. absolut gar nichts. Nur, dass Rosetta sich eben 2,5 Jahre später wieder melden würde und man wusste auch wo (wurde ja berechnet), wenn alles klappt. Dort hat man hingehört und es kam tatsächlich wieder, Rosetta war wieder da. Aber dazwischen hätte alles mögliche passieren können. Aber das Ding hat funktioniert.

Und noch besser: Man war tatsächlich 67P/Tschurjumow-Gerasimenko auf den Fersen, kam ihm immer Näher. Ein verschrumpeltes Quietscheentchen wie sich herausstellen sollte, aber das macht ihn ja nur noch interessanter. Das "einschwenken" in eine Umlaufbahn, ein paar Monate nachdem man den Kometen eingeholt hatte: Wie am Schnürchen, was nicht gerade selbstverständlich ist. Kartografieren der kompletten Oberfläche und auswählen eines geeigneten Landepunktes: Innerhalb weniger Monate, dann ausklinken von Philae: Traumhaft und exakt, aber das "Anpresstriebwerk" scheint zu streiken. Das ist dann halt so, Now or never, also geht es los. Man muss bedenken, dass da nicht irgendein Wissenschaftler mit seinem Joystick in Darmstadt sitzt, immerhin brauchen die Daten fast 30 Minuten für eine Strecke. Da muss vieles "vor Ort" mit Technik von vor 10 Jahren berechnet werden, die 10 Jahre der kosmischen Strahlung ausgesetzt war.

So, wir sind nun so weit: Wir "schmeißen" in 500 Mio. Kilometern Entfernung mit 10 Jahre alter Technik einen kleinen "Kühlschrank", der sich selbst stabilisiert, auf einem winzigen Schneeball (der kaum Gravitation aufweist), ohne dass ein Mensch das überwachen kann und hoffen dass wir da landen, wo wir es uns ausgesucht haben, wohlwissen, dass ein Hauptteil der Landesicherung nicht funktioniert. Und es klappt trotzdem.

Ja, die Verankerung hat nicht funktioniert, weswegen Philae zweimal weitergehopst ist (die Graviationsbeschleunigung beträgt auf 67P wohl etwa 1/10.000 der Erdbeschleunigung). Dann blieb Philae aber trotzdem stehen, trotz "gehopse" (das dauert bei solchen Anziehungskräften Minuten oder Stunden) funktioniert die Technik, trotz fehlendem Halt, trotz mangelndem Sonnenlicht. Warum die Harpunen und Schrauben Philae nicht fixieren konnten? Versagen der Techniker? Nein, man weiß ja erst seitdem Philae dort steht, wie der Untergrund beschaffen ist. Vorher (vor 10 Jahren! bzw noch länger ist die Planungsphase ja her) wusste man ja nicht, wie der Komet aufgebaut sein würde. Mit Wissen aus den 90ern/Anfang 2000er hat man es aber trotzdem geschafft. Vorallem kann man nun vielleicht herausfinden, warum die Befestigungsmaßnahmen nicht funktioniert haben und bei der nächsten Mission andere Mittel wählen, hier war es ja ein bunter Mix an Möglichkeiten in der Hoffnung, dass irgendwas davon taugt. Wenn jetzt jemand argumentiert: "Da hätte man andere Befestigungen mitnehmen müssen." Dann lautet die Antwort: Natürlich, und das sehen die Wissenschaftler heute bestimmt ganz genau so, jetzt nachdem man dort ist und was herausgefunden hat. Aber Wissen muss man erstmal erlangen. Wenn man nicht hinfliegt, weiß man nicht was man braucht, wenn man nicht weiß was man braucht kann man auch nicht perfekt vorbereitet hinfliegen. Die Argumentation: "Hätte man ja besser machen müssen" führt zu nichts und ist Unsinn.

Vielleicht wird langsam klarer, warum die Mission so ein Erfolg ist: Obwohl man praktisch nichts wusste, hat es funktioniert. Die Harpunen haben nicht gefeuert, die Schrauben sich nicht festgezogen, aber man steht.
"Etwas im Schatten stehen" nach 10 Jahren Reise zu einem praktisch unbekannten Körper in einer halben Mrd Kilometer Entfernung mit alter Technik ohne direkte menschliche Eingriffsmöglichkeiten auf einem Schneeball landen einen Misserfolg nennen?

Und jetzt zum Kostenpunkt: Die Mission war äußerst Erfolgreich, selbst das "optionale Sahnehäubchen" Philae hat beeindruckend funktioniert. Also wurde da kein Geld ohne "Gegenleistung" ins All geschossen. Erkenntnissgewinn - Check. So, wie teuer war das Ganze? Rosetta und Philae haben zusammen 500 Mio. Euro gekostet. Dazu der Ariane 5-Start, 200 Mio. €. Verwaltung, Überwachung, Kotrolle, Auswertung usw... mit 2 Mrd dürfte man optimistisch schätzen. Die Rettung der HRE haben Steuerzahler bisher schätzungsweise 50 Mrd. Euro gekostet. Davon ist aber nichts an produktive Firmen geflossen, kein Berg an Wissen geschaffen worden, davon haben die Steuerzahler keine schönen Bilder. Die Liste der Vergleiche dürfte ins Unendliche reichen.

So, mein Text war lang und teils repititiv, aber das ist denke ich nötig, um sich klar zu machen, was dort erreicht wurde. Mit dem Projekt hat die ESA gezeigt, dass auch sie Raumfahrt kann. Die ATV Transporter zur ISS waren ja ebenfalls technische Glanzleistungen (völlig autonomes ansteuern der Raumstation!), nur leider eingestampft. Wenn man sich anschaut, welche anderen Missionen von allen mögliche Raumfahrtorganisationen schon gehörig vergeigt wurden... Und das aus Gründen wie: Falsche Verkabelung, Verwechslung von Maßeinheiten oder auch: Hat einfach irgendwie nicht geklappt. Da muss man schon sagen: Glückwunsch ESA zu dieser gelungenen Mission!

Was meint ihr? Big Grin

Edit: Danke an mr.tommi für Rechtschreib- und Grammatikhinweise!
I'm sorry, Dave. I'm afraid I can't do that.
Antworten
#2
Ich finde es auch beeindruckend, was da geleistet wurde. Es ist halt schon ein wenig schade beziehungsweise "dumm gelaufen", dass Philae jetzt im Schatten liegt und der Strom ausgehen wird, aber was will man machen.
Better luck next time Smile

War auf jeden Fall ein spannendes Projekt und definitiv ein Erfolg, ich hoffe auf weitere Erkentnisse mit den Daten, die noch gesammelt werden.
[Bild: zaiendosig.php]
Antworten


Verlinke dieses Thema:

Teile es auf:
Twitter Facebook Stumble Upon Delicious Google GMail LinkedIn



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste